Campus Bockenheim soll ein Ort für alle bleiben - Presseerklärung & Resolution

Presseerklärung
450 internationale GeographInnen verabschieden Resolution

Anlässlich der 6. International Conference of Critical Geography (ICCG), die vom 16. bis 20. August 2011 an der Goethe-Universität Frankfurt stattgefunden hat, haben 450 WissenschaftlerInnen aus über 30 Ländern eine Resolution verabschiedet, die sich für den Erhalt und die Entwicklung des Campus Bockenheim als einen öffentlichen und demokratischen Ort ausspricht. Anknüpfend an ihre Erfahrungen und wissenschaftliche Erkenntnisse aus der Stadtforschung betonen sie die Wichtigkeit kultureller und sozialer Vielfalt für einen inkludierenden und lebendigen Stadtteil. Gemeinsam fordern sie die Schaffung und den Erhalt von bezahlbarem Wohnraum, die Ansiedlung öffentlicher Institutionen sowie offener und partizipativer Räume. Gleichzeitig wiesen sie auf die Gefahr der Gentrifizierung in Bockenheim hin.

Unter dem Motto „Krise – Ursachen, Auswirkungen, Reaktionen“ diskutierten die TeilnehmerInnen in und um das Studierendenhaus fünf Tage intensiv die Rolle der Wirtschaftskrise für aktuelle Fragen sozialer Bewegungen, Umwelt, Migration, Universität und Politik. Ein besonderer Fokus lag auf der Stadtforschung, die Themen wie Gentrifizierung, Verdrängung und neoliberale Stadtentwicklung in Zeiten der fiskalischen Krise der Städte diskutiert.

Professor Bernd Belina, einer der Organisatoren der Tagung, betont: „Für uns war es eine Selbstverständlichkeit, auch die Zukunft des Campus Bockenheim in diesem Kontext mit unseren Gästen zu diskutieren. Unter ihnen herrschte Einigkeit, die Forderungen der Resolution zu unterstützen, weil sie auch in vielen anderen Städten der Welt den Verlust bezahlbaren Wohnraums und öffentlich zugänglicher Räume beklagen.“ Die Resolution wurde einstimmig angenommen und wird von der Hoffnung getragen, in der Frankfurter Politik Gehör zu finden.



Resolution
vorgestellt in der Eröffnungssitzung am Dienstag, den 16.8.2011 16-18 Uhr, diskutiert und verabschiedet in der Abschlusssitzung am Samstag, den 20.8.2011, 13-14 Uhr, während der 6. International Conference of Critical Geography (ICCG) an der Goethe-Universität Frankfurt.

Wir, die über 400 Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der 6. International Conference of Critical Geography in Frankfurt/Main, tagen auf Einladung der studentischen Initiative „AK Kritische Geographie Frankfurt“ unter anderem im Studierendenhaus auf dem Campus Bockenheim der Goethe Universität. Dies ist möglich, weil dort der Wunsch nach einem Ort wahr geworden ist, an dem „[d]as Glück des unabhängigen Denkens und das Bedürfnis nach Freiheit, das aus ihm folgt, ja mit ihm identisch ist, […] gelernt und erfahren“ werden kann. Max Horkheimer hatte diesen Wunsch 1953 als Rektor der Universität bei der Eröffnung des Studierendenhauses formuliert. Jahrzehntelange Praxis der politischen Kultur und des Austausches von Wissen haben das Studierendenhaus zu einem zentralen demokratischen Ort auf dem Campus und im Stadtteil Bockenheim werden lassen. Kritische Geographinnen und Geographen treten weltweit für solche offenen, demokratischen Orte ein, und wir schätzen es sehr, dass unsere Konferenz an einem solchen Ort stattfinden kann. Dass dieser Ort, die offene Struktur des Campus Bockenheim und seine Bedeutung für den Stadtteil durch die derzeitigen städtischen Planungen bedroht sind, erfüllt uns mit großer Sorge.

Als Geographinnen und Geographen aus über 30 Ländern kennen wir städtische Prozesse, wie sie auf dem Campus Bockenheim derzeit zu beobachten sind, aus eigener Forschung oder alltäglicher Erfahrung nur zu gut. Wenn die langjährige Nutzung eines großen städtischen Areals ausläuft, beginnen Debatten um dessen Nachnutzung. Die Neuplanungen – in Zeiten städtischer „Kreativitätspolitiken“ immer öfter im Namen der „Kultur“ und von privatisierten, halböffentlichen Institutionen vorangetrieben – resultieren häufig in einer Einschränkung des öffentlichen Zugangs, in steigenden Mieten und in der Verdrängung angestammter Bevölkerungsgruppen im Stadtteil.

Aus unseren Forschungen und Erfahrungen wissen wir aber ebenfalls, dass Alternativen zu einer solchen exkludierenden Stadtentwicklungspolitik nicht nur wünschenswert, sondern auch möglich und durchsetzbar sind. Stadtplanung und Stadtentwicklung müssen sich nicht den wahrgenommenen Zwängen von Städtewettbewerb und Immobilienmarkt beugen. Stadtentwicklungspolitik kann und muss vielmehr im Dienste der lokalen Bevölkerung betrieben und vorangetrieben werden, insbesondere im Dienste jener, die über geringe finanzielle Mittel und politischen Einfluss verfügen.

Deshalb fordern wie die Stadt Frankfurt, vertreten durch die ABG Holding als Käuferin des Campus Bockenheim, auf, die Nachnutzung des Campus Bockenheim in den Dienst der Bürgerinnen und Bürger zu stellen und unterstützen die Forderungen nach:
  • dem Erhalt einer weitgehend öffentlich zugänglichen und auf Inklusion bedachten Nutzung, wie sie in den demokratischen Baukonzepten der „Kramerbauten“ verkörpert ist und die wir auch im Studierendenhaus erleben durften,
  • der Schaffung von bezahlbarem Wohnraum für einkommensschwache Bevölkerungsgruppen sowie
  • der Ansiedlung öffentlicher und zivilgesellschaftlicher Institutionen für z.B. Kinderbetreuung, Studierende sowie städtische Kultur in einem weit verstandenen Sinne, etwa in Form eines „Offenen Hauses der Kulturen“.
Wir wenden uns gegen eine sozial und historisch selektive Stadtentwicklung und Stadtplanung im Dienste des Profits, die sich eher an internationalen Städterankings als den lokalen Bedürfnissen unterschiedlicher Stadtteilnutzer/innen orientiert. Denn eine solche Stadtentwicklungspolitik kommt vor allem dem wohlhabenden Teil der Stadtbevölkerung zugute und repräsentiert nur einen kleinen Teil dessen, was städtische „Kultur für alle“ ausmachen sollte.

Angenommen beim Abschlussplenum der 6. International Conference of Critical Geography in Frankfurt am Main am 20. August 2011.


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